Versuch über den glücklichen Augenblick. Von Stefan Kutzenberger

 


Sehr verehrte Präsidentin Dominika Meindl,

Sie wenden sich vertrauensvoll an mich mit dem Aufruf, einen Text zu dem Thema „Zu welchem perfekten Samstag Ihres Lebens würden Sie zurückreisen wollen?“ zu verfassen. Auch wenn mich Ihre Anfrage naturgemäß sehr freut und ehrt, sehe ich mich außerstande, dieser nachzukommen.

Einen Grund dafür gibt indirekt der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk, der seinen Roman Museum der Unschuld mit diesem schönen, jedoch unsinnigen Satz beginnt: Es war der glücklichste Augenblick meines Lebens, und ich wusste es nicht einmal. Denn wie sollte man es auch wissen? Solange das Leben nur einen Atemzug länger dauert, kann der glücklichste Augenblick noch in der Zukunft liegen, soll er sogar in der Zukunft liegen, denn es wird immer besser, muss immer besser werden, damit am Ende dann alles gut sein kann, weil wir ja wissen, solange es nicht gut ist, ist es auch nicht zu Ende. Das war meine erste Reaktion auf Ihre Anfrage, die mir immer infamer erscheint, je mehr ich darüber nachdenke.

Es gibt nämlich noch einen anderen Grund, warum ich den Augenblick, der es wert ist, mit einem goldenen Rahmen versehen zu werden, nicht in der Vergangenheit besuchen mag: es ist mir schlichtweg ein zu heißes Eisen. Der Logik der Sprache und des Gedächtnisses folgend, ist es unmöglich, die Vergangenheit treu abzubilden, unweigerlich verändert man, lässt aus, fügt hinzu. Und das ist gefährlich, denn spätestens seit Zurück in die Zukunft wissen wir, dass man durch die Veränderung des Vergangenen die Zukunft verändert. Man spielt also mit seiner Existenz, wenn man seine Vergangenheit zu Papier bringt. Das ist mir, liebe Dominika Meindl, an dieser Stelle meines Lebens stehend, zu heikel, da das Leben zur Zeit sehr fein dahingeht, wozu also unbedrängt alles riskieren, warum von Ihnen gedrängt, alles opfern?

Aus diesem Grund erlaube ich mir, das von Ihnen gestellte Thema zu modifizieren und den mit Sonne durchdrungenen Glückstag, der mich so sehr im Bauch kitzelt, dass ich verleitet bin zu sagen: oh Augenblick, Du bist so schön, verweile, lieber in der Zukunft zu erblicken versuche. Wie ja auch Faust, dem man das Zitat vom schönen Augenblick gerne in den Mund schiebt, diesen, sobald er nicht mehr in der Zukunft liegt, als abschreckend empfindet. Der Augenblick also, in dem Faust beschließt: das Leben passt eigentlich ohnehin, ein Nachmittag am Sofa wäre auch fein und obendrein bequemer als der harte Sessel in der Studierstube, dieser Augenblick, so Faust, könne gerne auch sein letzter sein, denn so ein Leben wäre nichts wert. Wenn Faust folglich mit Goethes Versen spricht,

Werd’ ich zum Augenblicke sagen:

Verweile doch! du bist so schön! 

Dann magst du mich in Fesseln schlagen,

Dann will ich gern zu Grunde gehn!

so ist das genau umgekehrt gemeint, wie so oft zitiert: nicht weil Faust im geglückten Augenblick Erfüllung gefunden, ist er bereit zu gehen, sondern weil er aufgehört hat, diesen geglückten Augenblick in der Zukunft zu vermuten. Sucht er den perfekten Moment jedoch in der Vergangenheit, hat er nichts anderes verdient, als vom charmanten Mephistopheles ins Verderben gerissen zu werden. Nice try, wie man bei uns im Mühlviertel sagt, liebe Präsidentin, aber ich erkenne Ihr Spiel und falle nicht darauf herein. Ich bleibe am Sofa sitzen.


Hochachtungsvoll und ergeben,

Ihr

Stefan Kutzenberger

 

Stefan Kutzenberger, geb. 1971 in Linz, studierte in Wien, Buenos Aires, Lissabon und London und lebt als Schriftsteller, Kurator und Literaturwissenschaftler in Wien. 2018 erschien sein Roman „Friedinger" (Deuticke), 2019 war er Stadtschreiber in Wels, 2020 erschien sein Roman „Jokerman" (Berlin Verlag).

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Ganz ohne Pressspann. Von Norbert Trawöger

16 Göttinnen. Von Stephan Roiss

9-Volt-Block. Von Anna Weidenholzer