Manfred. Von Karin Peschka

 

Die Zeit ist eine Mischmaschine und daher könnte sich alles, was Manfred und ich im Vorfeld seriöser Erwachsenheit erlebten, durchaus an Samstagen zugetragen haben. Sind dem Samstag doch besondere Epauletten angeheftet, zumindest seit der Einführung des Weekends. Ö3 und Privat fiebern ihm entgegen, trommeln ihn ein, trauern ihm nach, als gäbe es keine Menschen, die an diesem Tag zu arbeiten haben. Was kümmert das Happy-Musik-Volk das Leben jener ohne Büroschluss am Freitag um 15 Uhr? Und was nützt es, wenn im Christenland der Christengott am Sonntag zur Hauptversammlung ruft?

Lassen wir die leichte Bitterkeit hinter uns, geschuldet dem Aufwachsen als Tochter selbständiger Gewerbetreibender im gastronomischen Familienbetrieb. Für uns gab es nur den Sperrtag, der eben nie ein Samstag war.

Wenden wir uns Manfred zu, meinem ältesten Freund, wobei „ältest“ buchstäblich nicht stimmt, ich habe Freunde, die um einiges älter sind. „Längster“ Freund könnte passen, Manfred ist über einsneunzig, aber das klingt halt blöd. Sagen wir es anders: Mit niemandem bin ich schon so lang so eng befreundet.

Sommer 1985, Aschach an der Donau, Hinterzimmer einer Gastwirtschaft, erste Stunde Führerscheinkurs. Ein heißer Tag, im Licht flimmerte der Staub, alles wartete auf den Fahrschullehrer, der uns in die Theorie einweisen sollte. Die Tür ging auf, herein kam – nein, nicht der Fahrschullehrer, sondern dieser große, braungebrannte Bursche, sehr aufrecht, kurze Hosen, weiße Tennissocken, Turnschuhe, ein Lächeln auf den Lippen. Ich war schockverliebt. Tatsächlich ist das meine einzige abrufbare Erinnerung an den Kurs bis zur praktischen Prüfung.

Wir Prüflinge sammelten uns auf dem Parkplatz vor dem Lokal. Daneben die Donau, samt Treppelweg und leichtem Fischgeruch. An diesem Samstagvormittag reichte mir Manfred, mit dem ich bis dahin kein Wort gewechselt haben dürfte, seine Jacke. Ich hatte angeboten, sie zu halten, während er sich verkuppelte und letztlich wir beide nicht bestanden. Er den B-Schein nicht, ich – konsequent – gleich A und B. (A: bei der kleinen Brücke vor Karling den Fünfziger übersehen. B: schlecht eingeparkt.) Ich gab ihm die Jacke zurück, wir vereinbarten, uns am Nachmittag in Feldkirchen zu treffen, beim Wasserski-Lift, zwecks gegenseitiger Aufmunterung.

Vielleicht verabredeten wir uns erst für Sonntagnachmittag, aber sicher ist, dass ich mit dem Puch Maxi nach Feldkirchen fuhr, weil ich von meinem sechzehnten Geburtstag an mit dem Puch Maxi unterwegs gewesen war, es war mir am Hintern festgewachsen. Eine Symbiose ohne Gangschaltung, aber lehrreich. Man durfte zum Beispiel, um mit dem roten Moped über die Schaunburger Leitn nach Stroheim zu gelangen, in den unteren Kurven vor dem steileren Anstieg keinesfalls bremsen. Wer bremst, verliert Geschwindigkeit und schafft die Bergwertung nicht. Unmöglich. Mittig umdrehen, neuer Anlauf, wer will das schon. Oder: Auch Mopeds mögen keinen Rollsplit. Oder: Man kann sich in vertrautem Netzwerk aus Landstraßen und besseren Feldwegen heftig verfahren, vor allem im Dunklen und unter dem Druck mütterlicher Ausgangsbeschränkung. Um Mitternacht daheimsein? Ja, eh. Aber.

Das Treffen mit Manfred an den Feldkirchner Badeseen endete übrigens mit der Erkenntnis, keinen Freund, aber einen Freund gefunden zu haben.

Was das damals locker geknüpfte Band so verfestigte, dass es bis heute hält, ist zu privat. Jedenfalls erhielten wir beide unsere Führerscheine im zweiten Versuch, bald darauf war ich mit einem Schulkollegen Manfreds fix zusammen und konnte die Samstage nach wie vor nicht recht feiern. Statt Epauletten trug ich Schulterpolster, weil sie modern waren und sie das mir eigene Unglück betonten, im völlig falschen Berufsleben gelandet zu sein.

Beim Verfassen dieses Textes fällt mir etwas ein, zur Überprüfung muss ich kurz ins Badezimmer. Moment. (…) Ich bin nicht allein zurück an den Schreibtisch gekommen, eine Duftwolke begleitet mich, „Coco“ von Chanel. Das Parfum, von dem immer noch ein Rest da ist, schenkte Manfred mir vor über einunddreißig Jahren zur Geburt meines Sohnes. Gerne mag ich glauben, dass mein bester Freund den kleinen Überraschungsgast und mich schon am zweiten Tag in der Klinik besucht hat. Mein Sohn, sich in das familiäre Regelwerk fügend, kam am Sperrtag zu Welt, damals ein Freitag.

Aber ein, zwei Jahre vorher, Manfred. Erinnerst Du Dich? „It's just a question of time“ heißt es bei Depeche Mode, und die werden’s wohl wissen. Alle Samstagnächte verschmelzen zu einer, zu jener, in der wir, Du und ich, durch’s schlafende Wien fuhren, im orangen Licht der Straßenbeleuchtung, weit nach Mitternacht, den mütterlichen Sperrstunden entwachsen, das Kassettendeck im VW-Golf auf Anschlag, so dass uns die spärlichen Nachtschwärmer, an denen wir vorbeidröhnten, den Vogel zeigten. „Barrel of a Gun“ hat einen guten Rhythmus, „Stripped“, „Black Celebration“, David Gahan singt sich die Seele aus dem mageren Leib, Martin Gore rinnt der Schweiß in die Augen und vermischt sich dort mit dem schwarzen Eyeliner.

Dass die Zeiten durcheinanderkommen, ist völlig egal, dass wir in der beginnenden Morgendämmerung in einer anderen Stadt zum Auto gehen, ebenso. Die Vögel heben an zu singen, und ich bin gefangen im Glück unserer Freundschaft, und so jung sind wir, glaub mir, das wird halten. 

 

Karin Peschka, geboren 1967, aufgewachsen in Eferding, als Wirtstochter. Trat 2013 mit dem flugs und zahlreich prämierten „Watschenmann“ ins Licht der Öffentlichkeit und steht seit da auch gleich im Zentrum des Literaturgeschehens. Lebt in Wien und kümmert sich um Eferding. Vier Romane, zahllose andere Texte und Arbeiten. Arbeitete u. a. mit alkoholkranken Menschen und mit arbeitslosen Jugendlichen, aber auch mehrere Jahre im Bereich Onlineredaktion und Projektorganisation.

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