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Die letzte Rückführung des Ewald Kleinhäusl. Von René Monet

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Foto: Robert Maybach Das Alltägliche verliert an Wert. Quodiana vilescunt. - Lateinisches Sprichwort Suchte man ein wort, nur ein einziges wort, das Ewald Kleinhäusl treffend beschreibt, so wäre es etwas in der art von “junggeblieben”. Da kleiner als die meisten – euphemistischer gesagt: “von der statur her nicht überragend” – war Kleinhäusl ein dünner, glatzköpfiger 55jähriger, gerade einmal 163 cm groß, obwohl er auf nachfrage gerne auf 165 aufrundete. Sein bäuchlein stand etwas hervor, allerdings nur von der seite richtig zu sehen, hier dafür umso auffälliger, was seiner ansonsten fast schon untergewichtig wirkenden generellen anmutung geschuldet war. Damit einhergehend hatte er ein rundes gesicht, faltenfrei, dunkle haare ohne grau, ein jugendliches auftreten und trug legere kleidung. Er wirkte wie 40. Der “Kleine Häusl”, wie seine stammtischfreunde, alles ehemalige schulkollegen, ihn (nicht abwertend) nannten, war seit einem schlimmen bandscheibenvorfall in fr...

Frühstück am Ende des Tentakeltages. Von Andreas Topf

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Wieder einmal weckt mich die gleißende Sonne, die sich ihren Weg durch die minimalen Schlitze des fast gänzlich geschlossenen Rolladens in mein Zimmer bahnt. Es sind Sommerferien und der Faktor Zeit ist für neun Wochen angenehm relativ. Schlaftrunken tapse ich die Stiegen aus dem herrlich kühlen Kellerzimmer hinauf in die Küche. Die intensive Ladung Licht verengt meine Augenlider zu Schießscharten. Welch ein Glück, dass die Zubereitung meines Frühstücks ohne Inbetriebnahme des Großhirn funktioniert. Teller, Milch, Cerealien fügen sich wie von selbst zusammen. Erst jetzt bemerke ich meine Mutter, die mich aufmerksam beobachtet. „Was machst du da?“ fragt sie mich. Also ob sie mein morgendliches Ritual nicht kennen würde. „Frühstück.“ Meine Intonierung ließ erkennen, dass ich an ihrem Verstand zweifelte. Meine liebende Mutter quittierte es aber mit einem Lächeln und verschwand. Dann kamen Selbstzweifel auf. Während ich meine Milchsuppe löffelte und meine Augen sich zögernd immer weiter ö...

Vom Vorteil der Ungenießbarkeit. Fliegenfischen in Ansfelden. Von Klaus Buttinger

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  Foto: Weihbold   Ansfelden. Zwei Steinwürfe vom dichtest befahrenen Autobahnabschnitt in Oberösterreich, ein Steinwurf von der buntesten Agglomeration von Baubedarfsselbsthilfetempeln entfernt fließt die Krems Richtung Traunfluss. Ihr Wasser befindet sich zwei Meter tief eingegraben in die sie umgebenden Maisäcker. Ein dünner Korridor aus Büschen und Bäumen dämpft die Geräusche der menschlichen Rastlosigkeit zu einem Hintergrundrauschen. In dem tiefen, grünen Tal kann man für wenig Geld fliegenfischen. Ich bin gerne dort, fange aber meistens nichts. Das liegt an den faszinierenden Begegnungen, die man in dieser Alltagsoase hat. Sie halten einen von der Jagd nach Schuppensilber ab. Da hüpft eine Wasseramsel mit ihrem charakteristischen weißen Brustlatz um die Flusssteine. Ein blauer Blitz saust vorbei – ein Eisvogel taucht nach einem jungen Schneider. Langsam schlängelt sich eine ausgewachsene Ringelnatter mit erhobenem Kopf auf mich zu. Ich stehe bis zu den Knien im ...

Schilling und Stromausfall. Von Cordula Meindl

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Es ist ein Sommertag, wir sind im Volksschulalter, gerade da, bevor das Leben irgendwie zu ernst wird und einen pubertäre Leidenschaften plagen. Es ist ein Tag mitten in den Sommerferien, so Ende Juli, bevor einem doch ein wenig fad wird in den Ferien. Es ist heiß, aber nicht so Klimawandel-2-Wochen-lang-38-Grad-heiß, sondern 33 bis 35 Grad. Das Gras ist so richtig dunkelgrün, die Sommergerste ist noch nicht geerntet und wogt goldgelb unter dem blitzlauen Himmel. Wir stehen spät auf, aber weil wir ja Kinder sind, ist spät um 7:30 Uhr herum. Die Wiese ist noch feucht vom Tau, ich steige auf eine Nacktschnecke - aber das ist auch schon das ziemlich Schrecklichste, was an diesem Tag passiert. Wir spielen Räuber und Gendarm oder bauen ein Lager im Wald am Bach, vielleicht spielen wir auch Playmobil unterm Nussbaum und verlieren die letzten paar Goldmünzen vom Piratenschatz im hohen Gras. Die Mutter werkt in der Küche und macht uns einen Kirsch- oder Heidelbeerstrudel, vielle...

Über das Glück in glücksnahen Zeiten. Oder: Wie hieß früher der Vesuv? Von Dominika Meindl

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Ich stelle mir die Reise ins vergangene Glück wie einen therapeutischen LSD-Trip vor. Ein Samstag in den späten 1980ern. Meine jüngste Schwester und ich wurden baden geschickt, jetzt sitzen wir mit Handtuchturban, nach Fichtennadelschaumbad duftend, in Pyjamas auf der schiachen Schnürlsamtcouch und sehen Harald Juhnke dabei zu, wie er mit der Sicherheit eines Drunken Master Kungfu-Kämpfers die lange Showtreppe herunteroszilliert. Es kann auch Peter Alexander sein, der sich als Lady Diana verkleidet. Oder, am besten: Hans Joachim Kulenkampff fragt einen grauen Menschen nach dem Namen des Vesuv, mit der Frage "Wie heißt dieser Vesuv"? Unten muss, um den Regressionszauber zu halten, auf alle Fälle das Insert "Die folgenden Sendungen beginnen mit Verspätung" durchlaufen. Weil wir in einem alkholoaffinen Haushalt aufwachsen, haben wir ein Glas Steinobstwein ("Bolero") in den klebrigen Händen. Wenn es jetzt nicht nach frischgebackenem Kuchen zu duften be...