Frühstück am Ende des Tentakeltages. Von Andreas Topf
Wieder einmal weckt mich
die gleißende Sonne, die sich ihren Weg durch die minimalen Schlitze
des fast gänzlich geschlossenen Rolladens in mein Zimmer bahnt. Es
sind Sommerferien und der Faktor Zeit ist für neun Wochen angenehm
relativ. Schlaftrunken tapse ich die Stiegen aus dem herrlich kühlen
Kellerzimmer hinauf in die Küche. Die intensive Ladung Licht verengt
meine Augenlider zu Schießscharten. Welch ein Glück, dass die
Zubereitung meines Frühstücks ohne Inbetriebnahme des Großhirn
funktioniert. Teller, Milch, Cerealien fügen sich wie von selbst
zusammen. Erst jetzt bemerke ich meine Mutter, die mich aufmerksam
beobachtet. „Was machst du da?“ fragt sie mich. Also ob sie mein
morgendliches Ritual nicht kennen würde. „Frühstück.“ Meine
Intonierung ließ erkennen, dass ich an ihrem Verstand zweifelte.
Meine liebende Mutter quittierte es aber mit einem Lächeln und
verschwand. Dann kamen Selbstzweifel auf. Während ich meine
Milchsuppe löffelte und meine Augen sich zögernd immer weiter
öffneten, erhellt sich auch meine Erinnerung. Und ein abschließender
Blick auf die Wanduhr bestätigte meine Vermutung: Gestern war der
große Tag! Ich habe am Computer Day of the Tentacle
durchgespielt. Das hat bis 9 Uhr morgens gedauert. Dann fiel ich ins
Bett. Um 12 Uhr wurde ich zum Mittagessen geweckt. Dann fiel ich
wieder ins Bett. Und jetzt, pünktlich um 16 Uhr gibt es Frühstück.
Ein ganz wundervoller Ferientag, wie ich meine. Zeit ist da eben
relativ und diskontinuierlich.
Andreas Topf, *1976, ist Unternehmensberater von der besten Sorte, Judo-Schwarzgürtelträger, 3D-Druck-Wizard (https://www.feststoff.com/), Mitglied der "Original Linzer Worte" und Wahlbruder der Herausgeberin
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