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Als es endlich einmal so schön war, wie es nie war. Die Nachlese zur Regressionsdisko

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„ Es wird schön gewesen sein“ sang das Erste Wiener Heimorgelorchester, als hätte es uns in einer vorvergangenen Ahnung den Soundtrack für unseren Abend geschrieben. Wird mich in der noch nicht vergangenen, weil fernen Zukunft ein Mensch aus dem Feuilleton fragen, welches meine größte Lebensleistung gewesen sein wird, antworte ich seit vergangenem Freitag nicht mehr „Dass ich noch nie jemanden ins Gesicht geschlagen habe“, sondern „dass ich den Rahm auf der Menschensuppe für die Regressionsdisko abschöpfen durfte“. Ich werde bis dahin aber noch einmal über diese Metaphorik nachdenken.  Irgendwann ab 18 Uhr begann es, im Strandgut warm zu werden. Wolfgang hat die standesgemäßen Lesungs-Facilities auf der Bühne arrangiert, ein Laptop für die Tanzmusik fährt hoch. An der Bar fragt Lydia nach dem ersten Hallo, ob das Geschäftliche schon abgeschlossen sei und man zum ersten Bier übergehen könne, Anita öffnet die Laden und zeigt her, was es gibt – das Beste aus dem goldenen Dreieck der Bie

16 Göttinnen. Von Stephan Roiss

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Foto: Tortoma Ich komme aus einer fernen Zukunft, in der die Menschen als diejenigen gelten, die den Dinosauriern folgten und die Erde etwas langweiliger machten. Zwar wissen wir Heutigen auch, dass die Menschen sehr blöd waren und das Unheil zelebrierten, aber das ist nicht weiter von Belang. Ich frühstücke tonnenschwere Früchte und Ambrosiakoks. Samstags gibt es Pudding. Heute ist Samstag. Vierundsechzig extrem heftige Tiere sind mit mir befreundet. Ich kenne einen Zauberspruch, der schlechten Wein in eine Holzfeile verwandelt. Am Vormittag heiße ich Lokomotive Labbadia, am Nachmittag Scheißerhase. Ja, das ist cool. Ich sammle nicht bloß gefrorene Blitze in einer Halle am Hauptplatz der Galaxis, sondern habe zudem mein Ego einem Wasserfall nahe Toronto anvertraut. Wenn ich Zeit zu lesen finde - und die finde ich, sobald ich suche - lese ich in den Gehirn strömen von Plastilinfiguren, in den Augen eines Flugfähig

9-Volt-Block. Von Anna Weidenholzer

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  Foto: katsey Eine Tätigkeit, die mich in meiner Kindheit über einen langen Zeitraum beschäftigen konnte, war das Testen von Batterien. Ich weiß nicht, ob es tatsächlich Stunden waren, die ich damit zubrachte, und ich kann nicht sagen, wann das Batterietestgerät in unseren Haushalt kam. Aber ich erinnere mich genau an die runden Knöpfe des Regals, an denen ich zog, um zu der Schachtel zu gelangen, deren Inhalt ich zügig auf den Boden kippte. Dann saßen wir da, die Batterien und ich, die Mignons neben den Micros, dazwischen ein paar 9-Volt-Blöcke. Ich griff nach dem Testgerät und begann. Jede einzelne Batterie legte ich in das Fach, selbst die ausgelaufenen, und schob den Kontakt hoch. Rot, orange, grün, ich blickte auf die Nadel. Mit etwas mehr Druck ließ sich das Rot gelegentlich auf ein Orange umstimmen. Manchmal brauchte es dazu mehrere Versuche, aber ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen, selbst von den stets aus der Reihe tanzenden 9-Volt-Blöcken nicht. So oft ich es versu

Liebes Tagebuch. Von Renate Silberer

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Foto: Ole 24.12.1987 Liebes Tagebuch, heute um ca. 20:00 habe ich dich bekommen. Jetzt schreibe ich dir. Eigentlich fällt mir nichts ein. Die Bescherung war sehr schön. Mama ist ein bisschen krank. Ich habe schöne Sachen bekommen.    02.01.1988 Früher haben mir die Lieder von Nino de Angelo gefallen. Besonders „und der Roboter weinte“. Bei der Stelle, „aus den Augen liefen seine Silbertränen so wie nie zuvor“ habe ich immer gedacht, ein Roboter hat auch was Menschliches. Jetzt gefallen mir Münchner Freiheit und Rick Astley. Madonna geht auch. 05.08.1989 Jetzt ein kleiner Test: Lieblingsfarben: hellgrün, gelb, schwarz, blau Lieblingssongs: Blame it on the rain, Born to be my baby, Mandy Lieblingsgruppe: Bon Jovi, Ärzte, Milli Vanilli Lieblingsessen: Pizza, Palatschinken Lieblingsgetränk: Cola, Cola-Rum (ist eigentlich grauslich), Bitter Lemon, Spezi Lieblingsmarken: Camel, Marlboro light Lieblingsbuch: Zeitschriften (Bravo-Girl, Mädchen) Buch: noch immer Momo Lieblings

an welchen tag deines lebens würdest du gerne zurückreisen wollen? Von Fritz Widhalm.

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wien, am 21.12.2020 ich würde gerne an viele tage in meinem leben zurückreisen, an sehr viele tage sogar. in gedanken natürlich, mein körper reist nicht mehr so gerne. mein körper g eht ganz gerne spazieren. zimmerfahrradfahren mit musik mag mein körper auch. und im kaffeehaus sitzen mit marmorguglhupf und kaffee. aber gehört mein körper mir? nicht so ganz, da er im grunde tut und lässt was er will, manchmal wird er auch krank, obwohl ich immer sehr nett zu ihm bin. ich bin kein er, sagt mein körper. ich eigentlich auch nicht, sage ich, genau genommen bin ich ein fritz, eine wahrheit von vielen sozusagen. aber dieses thema wird in diesem aufsatz nicht behandelt. der tag, an dem ich zurückreise, wird kein einzelner tag sein, sondern mehr ein schnitt. ein ausschnitt, ein einschnitt oder eine schnittfläche. eventuell auch ein filmschnitt. ich schneide gerne. und füge gerne zusammen. das zurückreisen, in gedanken natürlich, ist immer auch ein vorausdenken. zwisc

Schweinesammeln im Wohnzimmer. Von Ilse Kilic

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  Foto: Fritz Widhalm Was ist Schweinesammeln im Wohnzimmer? Schweinesammeln im Wohnzimmer ist Zuversicht und Leidenschaft. Schweinesammeln im Wohnzimmer bringt ein Stück Widerborstigkeit in die Welt. Am Anfang war Schweinesammeln im Wohnzimmer noch ganz unerfahren, aber es fasste sich ein Herz und füllte eine Vitrine im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien. Sollten sich doch alle am Schweinesammeln im Wohnzimmer erfreuen! Die gemietete Vitrine beherbergte rosarote, schwarze, mittelbraune, rotbraune, gestreifte, gefleckte gepunktete, langrüsselige, stupsrüsselige, kurzrüsselige, großohrige, schlappohrige, spitzohrige, plüschweiche, großäugige, zwinkernde, dünnbeinige, hochbeinige, hängebauchige, großbauchige, borstige, lockige, glatthaarige, langwimperige und ringelschwänzige Schweine. Schweinesammeln im Wohnzimmer zeigte sich von seiner tröstlichsten Seite. Ich zeigte mich von meiner tröstlichen Seite. Ich bin Schweinesammeln im Wohnzimmer. Gemeinsam mit Fritz, natürlich.

Manfred. Von Karin Peschka

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  Die Zeit ist eine Mischmaschine und daher könnte sich alles, was Manfred und ich im Vorfeld seriöser Erwachsenheit erlebten, durchaus an Samstagen zugetragen haben. Sind dem Samstag doch besondere Epauletten angeheftet, zumindest seit der Einführung des Weekends . Ö3 und Privat fiebern ihm entgegen, trommeln ihn ein, trauern ihm nach, als gäbe es keine Menschen, die an diesem Tag zu arbeiten haben. Was kümmert das Happy-Musik-Volk das Leben jener ohne Büroschluss am Freitag um 15 Uhr? Und was nützt es, wenn im Christenland der Christengott am Sonntag zur Hauptversammlung ruft? Lassen wir die leichte Bitterkeit hinter uns, geschuldet dem Aufwachsen als Tochter selbständiger Gewerbetreibender im gastronomischen Familienbetrieb. Für uns gab es nur den Sperrtag, der eben nie ein Samstag war. Wenden wir uns Manfred zu, meinem ältesten Freund, wobei „ältest“ buchstäblich nicht stimmt, ich habe Freunde, die um einiges älter sind. „Längster“ Freund könnte passen, Manfred ist über eins