I THINK WE’RE ALONE NOW. Von Martin Fritz

der plan für heute: baden im fluss und paul preciado lesen, später dann queere countrymusic hören, gin tonic trinken und sister act schauen, während draußen das gewitter niedergeht aka exakt meine vorstellung des objektiv guten lebens. so habe ich das einmal schon fast vorher geschrieben, dann aber natürlich doch erst danach. und genauso habe ich damals dann auch gemacht.

in der sonne liegen, lesen, einschlafen, baden: rätselhaft ist eigentlich nur, warum es nicht immer so ist, sei es am balkon, damals bei der präsidentenwahl, die hitze schon so früh im jahr, die unwirklichkeit der nachrichten, der livestreams am mobiltelefon, damals ein contrapoints-video hörend, damals im so genannten spritz5000trip, die zeitschrift diva e donna lesend, einschlafen in der sonne, storys in halbverstandenem italienisch über mir unbekannte italienische promis weiterträumend, während sich die zeit zerdehnt in ein klebriges etwas, für dessen aggregatszustand wir keine worte haben. we got no place to be. damals am pool in dem kleinen dorf am rand der kleinen provinzstadt. damals, in all den einschlägigen filmen, es sollte sie einmal wer alle direkt nacheinander schauen und empfinden, was wir von ihnen gelernt haben und noch lernen können, z.b.: wie das geht: neben einem pool abhängen, z.b.: wie das geht: jemand zu sein, was neben ein pool abhängt: summer lovers (1982), the swimmer (1968), die pool-trilogie: la piscine (1969), swimming pool (2003) sowie la piscina (2021)1 und dann natürlich noch call me by your name (2017), und damit sind wir noch gar nicht bei den ganzen esther-williams- und mermaids-filmen und den ganzen anderen quarantäne- und seuchenfilmen wie the blue lagoon (1980) oder sister act (1992).

und in einer früheren version dieses textes sollten das bis hierher alles so kleine abschnitte sein, zu den einzelnen momenten, in denen das jemande-sein-die-rumhängen-neben-wasser gelungen ist, und dazwischen immer kleine abschnitte zu den einzelnen filmen und reflexionen dazu und all das in einem text, der die auflösung feiert, wie inadäquat ist das denn und jetzt nützt es langsam auch nichts mehr, noch länger darum herumzureden und aus offensichtlichen gründen kann ich hier nicht den namen der insel sagen, auf der die story spielt. oder die zeit, zu der sie passiert ist oder erst passieren wird. unser kleines zelt steht am äußersten rand des kleinen campingplatzes am rand der kleinen insel am rand des randmeeres des mittelmeers. es gibt holzpflöcke, die als stühle, tische genutzt werden, sie reichen gut aus für alle, wenn sich niemand mehr reserviert, als sie brauchen. es gibt einen esel, den wir vom tomatenpflanzen fressen abhalten so schlecht wir das halt können, und dafür können wir so viel tomaten pflücken wie wir wollen, so lange wir halt nicht mehr pflücken als wir brauchen. und warum sollten wir das denn tun? es gibt nachbarn im nächsten zelt, sie sitzen verschlafen in der morgensonne, unter dem feigenbaum, essen die feigen vom baum, trinken kaffee, wir grüßen sie verschlafen, als wir verschlafen aus dem zelt klettern in einer sprache, die wir alle nicht als erste sprechen, verstehen nicht, was die anderen sonst so reden. und natürlich war und ist uns wohl bewusst, dass es in wahrheit nie so ist, nie so war. denn natürlich gelten hier wie überall die üblichen regeln, ruhezeiten dann und dann, kein offenes feuer, bekleidungsvorschriften, urinale segregation, nicht die feigen vom feigenbaum klauen, diesdas, das kennen alle zur genüge. aber in manchen guten momenten fühlt es sich hier trotzdem so an (und es fühlt sich immer so inadäquat an, es zu sagen, es hinzuschreiben, es wird dann so platt und banal, als würde der ZAUBER damit gelöst), als würden sich die regeln hier gerade gewissermaßen enger an die situationen anschmiegen, oder anders gesagt die situationen loser um die regeln tänzeln. es fühlt sich an, als würden die dinge hier nicht geregelt über den zwang, die gewalt, die angst. es ist fast so, als würde hier, auf zeit, auf probe, ein anderes zusammenleben möglich, in dem zusammenleben zunächst bedeutet: die anderen in ruhe lassen. die regeln werden mehr so unverbindliche serviervorschläge, sie fransen aus, alles ist jetzt nicht in dem sinn verboten oder erlaubt, es sehen mehr alle selber ein, dass sie auch mehr davon haben, wenn sie ihr zeug herumliegen lassen können, wenn sie einfach irgendwie jemand sein können, ohne dass das jemand anders besonders interessiert. wir leben hier am rand, am rand des campingplatzes am rand der adria, aber auch am rand, im vorzimmer der gesellschaft, so fühlt es sich zumindest an, und wenn wir nicht einmal das fühlen können, ja, was können wir denn dann?

wir kennen die versuche, das auf dauer zu stellen, es sich im vorzimmer der gesellschaft dauerhaft einzurichten: es hat mal wer ins internet geschrieben, wir finden es nicht mehr, aber es hat sich dauerhaft ins gedächtnis eingebrannt: glück, das wofür die eigentlich gekämpft haben, das ziel ist doch: die gesellschaft ist allgemein schon gut geregelt, und wir werden endlich von ihr in ruhe gelassen und können mit den zwei oder drei oder hundert menschen, mit denen wir das überhaupt nur können, sinnvolle momente haben, glück erleben if you will. mehr ist eh nicht möglich, und das ist schon viel, mehr als alle jetzt schon haben, und das wird erst dann möglich sein, wenn uns nicht immer um alles andere zu kümmern haben.

das sind dann so die gedanken, und dazu schnorcheln wir immer in diesem randmeer des mittelmeers, dieses randmeers eines ozeans. schnorcheln ist bekanntlich das bessere spazierengehen; wer es richtig macht, wird belohnt mit ganz neuen abläufen, einem neuen zeitgefühl, einer neuen wahrnehmung. es gilt wie bei allem wirklich guten das alte geheimnis: du darfst es nicht zu sehr wollen. und schon passiert es (streng besehen in einem modus zwischen aktiv und passiv): die zeit vergeht jetzt (als würde das wort noch einen sinn ergeben) anders, es lösen sich auch da grenzen auf, es ist nicht mehr so wirklich wichtig, ob wir irgendwohin kommen oder irgendwo sind, sondern dass diese differenz keinen sinn mehr ergibt. das ist schon kein abhängen mehr, das ist floaten. wie das geht, jemand zu sein was floatet? die wahrnehmung schmiegt sich ein bisschen enger an die umgebung an oder die umgebung tänzelt ein bisschen eleganter um die wahrnehmungen, oder diese differenzen ergeben keinen sinn mehr. es ist ein bisschen wie die besten momente beim ausgehen; und was wir davon auf dauer stellen können (nicht dass dauer noch von bedeutung wäre): die sicher gefühlte gewissheit: wir müssen nichts so machen wie wir’s kennen. der ganze kleinkram sonst: es ist vorbei. wir können anders in anderen beziehungsweisen leben. es kann alles so viel besser sein. das ist das ganze geheimnis: unsere obsession mit der gesellschaft rührte immer nur daher, dass wir sie loswerden wollten. und wir würden uns und einander endlich anschauen und den tiffany-satz sagen können (und unsere frisuren wäre so tadellos wie ihre): i think we’re alone now.

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1 die handlung, so weit sie bereits bekannt ist: am originaldrehort von la piscine wird ein aufenthaltsstipendium für nachwuchsautor*innen installiert. es kommen 2 stipendiat*innen an und verlieben sich beide gleichzeitig in den pool-boy (robert pattison) und in die ebenfalls anwesende ludivine sagnier. es kommt zunächst zu eifersuchtsszenen, aber dann nicht zu einem mord, sondern zu einem poly-happy-end. in der letzten szene ist der titel des frisch erschienenen kollaborativen debütromans der beiden stipendat*innen zu sehen: call us by your names.

 

Martin Fritz, *1982, studierte Vergleichende Literaturwissenschaft und Deutsche Philologie in Innsbruck, hört sich in seiner Freizeit gerne DJ Patex’ Coverversion des Songs „I Wish I Was Him“ an. Dissertation zu Systemtheorie, Popkultur und Web 2.0. War Teil der 1. Innsbrucker Lesebühne „Text ohne Reiter“, ist Teil der Innsbrucker Lesebühne „FHK5K“. Ansonsten das Übliche: Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien sowie „intrinsische süßigkeit“ (Lyrik, Berger Verlag 2013) und „Die Vorbereitung der Tiere“ (Prosa, Laurin Verlag, 2020)

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